Heft 38 (19. Jg. 2006): Blicke auf Freud

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Herbert Will

Ein Abkömmling der Liebe: Freud über den Glauben (S. 102–128)

Zusammenfassung:
Die Arbeit fragt danach, was Freud über die psychische Tätigkeit des Glaubens sagt. Durch eine Auffächerung des semantischen Felds wird die Vernetzung seiner Religionstheorie mit seinem übrigen Werk erkundet. Diese bildet ein in sich konsistentes Modell, das keineswegs einem antireligiösen Vorurteil entspringt, sondern sich schlüssig in sein gesamtes Denken fügt. Religiöser Glaube ist für Freud ein Spezialfall von Glauben überhaupt. Diesen siedelt er in der Mitte einer dreistufigen Entwicklung des Individuums und der Menschheit an: vom Zustand des magisch-animistischen Denkens in Autoerotik und Narzißmus über den der gläubigen Abhängigkeit von allmächtigen Elterngestalten hin zur Emanzipation des Individuums durch Intellektualität und kritische Urteilsfähigkeit. Die Wunschgenese des Glaubens zieht die Urteilsschwäche des Gläubigen und seine Unterwerfung unter religiöse Autoritäten nach sich. Abschließend werden einige Vor- und Nachteile von Freuds Modell diskutiert.

Summary: An Offspring of Love. Freud on Belief.
This paper elucidates Freud's ideas of belief and believing. By investigating the semantic field, it discusses the place of his theory of religion in the context of his thought. It argues for a consistent model which does not stem from antireligious prejudice but meshes with his whole thinking. For Freud religious belief was a special case of the general attitude of believing. He situated it within a three-stage development of the individual as well as of humanity, starting with a state of magical-animistic thinking in autoerotism and narcissism and leading, via object-dependency and a belief in omnipotent parental figures, to emancipation through rationality and critical judgement. The origin of belief in wishing accounts for the believer's lack of judgement and submission to religious authorities. In the end some of the advantages and disadvantages of Freud's model are highlighted.

Schlagworte:
Glauben; Religion