Heft 73 (37. Jg. 2024): Harald Schultz-Hencke
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Johann Georg Reicheneder
Zur Konstruktion des Sprachapparates bei Freud (1891). Gehirnanatomie – sinnliche Wahrnehmung – (psychisches) Erleben (S. 112–146)
Zusammenfassung: Der Beitrag untersucht die Konstruktion von Wort und Sprache in Freuds Analyse der Sprachstörungen von 1891. Dabei zeigt sich, daß Freud zentrale Ideen für diese Studie bereits ab 1885 entwickelte. Sie enthalten im Kern eine grundlegende Kritik der zeitgenössischen neurologischen Forschung. An die Stelle einer topographischen Niederlegung einzelner Funktionen der Sprache, wie etwa das Wort, setzt Freud einen assoziativen Vorgang, an dem wesentlich die Sinneswahrnehmungen von Sehen, Hören sowie die zugehörigen sensomotorischen Wahrnehmungen des Sprechens (Muskelinnervationen von Mund, Zunge, Lippen) sowie des Schreibens (Arm-, Hand- und Augenmuskelmotorik) beteiligt sind. Da das Sprechenlernen unabdingbar an ein Objekt gebunden ist, das spricht, und dessen Stimme gehört wird, ist in der Sprache neben den lexikalischen Bedeutungen auch die Beziehung mitsamt ihrer affektiven Struktur zu diesem „Anderen“ enthalten und fortwährend präsent. Als neurologische Basis für diese Leistungen identifiziert Freud die „grauen Massen“. Sie sichern die Herstellung vielfältigster Verbindungen physiologischer Signale sowie ihre Weiterleitung ins zentrale Nervensystem. Als Grundlage dieser Prozesse erkennt Freud die „Assoziation“. Sie wird so zu einem zentralen Begriff für seine Konstruktion der Sprache und zum Ausgangspunkt des späteren psychoanalytischen Assoziationsbegriffs. Auf Fortentwicklungen dieser Überlegungen bei Freud und in späteren psychoanalytischen Forschungen wird hingewiesen.
Summary: On the construction of the speech apparatus in Freud's study on aphasia (1891). Brain anatomy – sensory perception – (psychic) experience. The article examines the construction of word and speech in Freud’s analysis of language disorders from 1891. It shows that Freud had developed basic ideas for this study as early as 1885. At its core it contains a fundamental criticism of contemporary neurological research. Instead of a topographical description of single functions of language, such as the word, Freud substitutes an associative process, which essentially involves the sensory perceptions of seeing, hearing and the associated sensorimotor perceptions of speaking (muscular innervations of the mouth, tongue, lips) and writing (arm, hand and eye muscle motor skills). Since learning to speak is indispensably linked to an object that speaks and whose voice is heard, the relationship to this „other“ is also contained in language and is constantly present. Freud recognizes the „gray masses“ as the neurological basis for this development, which enable the bundling and transmission of neurological signals into the central nervous system through a wide variety of connections. Freud recognizes „association“ as the basis of these processes. It thus becomes a central concept for his construction of language and the starting point for the later psychoanalytic concept of association. Reference is made to further developments of these ideas in Freud and in later psychoanalytic research.