Heft 73 (37. Jg. 2024): Harald Schultz-Hencke

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Steffen Theilemann
Sigmund Freud an Schultz-Hencke: Ein Brief vom 1. Oktober 1929 und seine Beantwortung (S. 8–32)

Zusammenfassung: Es wird ein Brief vom 1. Oktober 1929 erstmals veröffentlicht, in dem Freud einen Aufsatz von Harald Schultz-Hencke über Fragen der analytischen Technik, den dieser eigens für ihn verfasst hatte, kommentiert. Die sieben Punkte aus dem Aufsatz, die Freud erwähnt, finden sich auch in einem wenig späteren Vortrag Schultz-Henckes über den „Heilungsfaktor in der Psycho-Analyse“. Zentral ist darin die Erläuterung der Techniken der „Aufklärung“ und „Verführung“. Ferner werden zwei Entwürfe von Antwortbriefen abgedruckt, in denen Schultz-Hencke seine Unterscheidung von genetischen und rezenten Deutungen mit ihrem jeweils unterschiedlichen Einfluss auf das Bewusstwerden verdrängter Kindheitserinnerungen und zuvor gehemmter Impulse erläutert. Mit seinen Überlegungen versucht er, bisher in der Theorie der Technik nicht genügend beschriebene Prozesse, die in der Praxis der Analytiker ständig verwendet werden, systematisch zu beschreiben und konzeptuell in die Theorie einzufügen, womit er bei Freud wenig Gehör fand. Schultz-Hencke wirft in seinem Brief auch die Frage auf, ob er sich noch „als Analytiker betrachten“ solle. Diese Frage wird in ihr zeitliches Umfeld, die Ereignisse in der DPG, die im Entzug der Lehrbefugnis am BPI für Schultz-Hencke im Frühjahr 1929 kulminierten, eingeordnet. Freuds Antwort auf die Frage ist, bezogen auf die Gegenwart, eine bejahende, mit Blick auf die weitere Entwicklung Schultz-Henckes eine zweifelnde.

Summary: Freud’s letter to Harald Schultz-Hencke of 1st October 1929. This letter which is published here for the first time, comments on an essay about issues of psychoanalytic technique which Schultz-Hencke had written especially for Freud. The seven points from this essay mentioned by Freud also figure in a subsequent lecture by Schultz-Hencke on the “Curative Factor in Psycho-Analysis”. Central is here the explanation of the techniques of “enlightenment” and  “seduction”. In addition, two drafts of reply letters are presented in which Schultz-Hencke explains his distinction between genetic and recent interpretations with their respective influence on the release of repressed childhood memories and previously inhibited impulses. With his reflections, he attempts to systematically describe processes that, although constantly used in the practice of analysts, had not been sufficiently described in the theory of analytic technique up to then and to include them conceptually into this theory. Freud was not interested in his differentiations. In his letter, Schultz-Hencke also raises the question of whether he should still “consider himself an analyst” which is regarded in its historical context: the events that culminated in Schultz-Hencke’s exclusion from the staff of the Berlin Institute. Freud’s answer to this question is affirmative as to the present, but doubtful as to Schultz-Hencke’s further development.