Heft 69 (35. Jg. 2022): Freud-Patienten II – Aus den Eissler-Interviews in der Library of Congress

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Michael Molnar
Ihr kritisches Auge (S. 176–200)

Zusammenfassung: Ein Foto von Freuds Enkelin Eva als Kind, das ihrer Mutter und Großmutter den Rücken zuwendet und in die Kamera blickt, steht im Mittelpunkt dieses Essays über das Leben des Mädchens. Ihre Situation und die Umstände, die zu ihrem tragischen Tod führten, werden anhand eines Bildes untersucht, das das Mädchen als ein frühreif- weises, seine eigene Zukunft befragendes Kind zeigt. – In den 1990er Jahren warfen die Forschungen von Pierre Segond ein neues Licht auf die bis dahin dunkle Geschichte Evas. Seitdem hat ihr dramatisches Schicksal immer mehr Aufmerksamkeit erregt. Während es dem Rest der erweiterten Familie Freud gelang, aus dem von den Nazis besetzten Europa zu fliehen, blieb sie allein, obwohl noch ein Teenager, im Feindesland zurück und starb mit 20 Jahren noch vor Kriegsende. War es, weil sie von ihrer Familie zurückgelassen wurde? oder weil sie sich von der Familie abwandte? Ihre Mutter und Großmutter diskutierten noch lange nach ihrem Tod über diese Fragen. – Die faktischen Zeugnisse der Geschichte werden ständig der Revision unterworfen. Im Wechselspiel zwischen schriftlicher und visueller Dokumentation tritt Evas eigenes Bewusstsein von ihrer Situation als fragender Blick auf den Historiker in die Geschichtsschreibung ein.

Summary: Her critical eye. A photo of Freud’s granddaughter Eva as an infant, turning her back on her mother and grandmother to gaze at the camera – this is the focal point of this essay on the girl’s life. Her situation and the circumstances that led to her tragic death are examined through the medium of an image that presents the infant as a prematurely wise child interrogating her own future. – During the 1990s Pierre Segond’s research cast new light on Eva’s previously obscure history. Since then her dramatic story has attracted increasing attention. While all the rest of the extended Freud family managed to escape Nazi-occupied Europe, she alone, though only a teenager, remained behind in enemy territory, and died at the age of 20 before the end of the war. Was it because she was abandoned by her family? or because she turned her back on them? Her mother and grandmother would continue discussing these questions long after her death. – The factual evidence of history is continually subjected to revision. In the interplay between the written and the visual documentation, Eva’s own consciousness of her situation enters the historiography as a questioning glance directed at the historian.