Heft 69 (35. Jg. 2022): Freud-Patienten II – Aus den Eissler-Interviews in der Library of Congress

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Herman Westerink
Der Mann Moses
– Erstfassung (1934) und Endfassung (1938): Von einer Charakter- zu einer Fallstudie (S. 114–135)

Zusammenfassung: Seit der im letzten Jahr erfolgten Publikation der Erstfassung von Freuds Moses- Studie aus dem Jahr 1934 gibt es die Möglichkeit, die Entstehung des Moses-Werks bis zur Endfassung (1938) zu rekonstruieren und beide Fassungen miteinander zu vergleichen. Dieser Aufsatz möchte dazu einen Beitrag leisten. Die Rekonstruktionsarbeiten und Deutungen von Ilse Grubrich-Simitis und Michel Fagard/Thomas Gindele werden kritisch betrachtet. Danach wird die These ausgearbeitet, dass Freud von seinem ursprünglichen Vorhaben, den jüdischen Charakter als Schöpfung des großen Mannes Moses verstehen zu wollen, übergewechselt ist zu einer Untersuchung der Frage nach der Bedeutung des Mordes an Moses als traumatischem Erlebnis und nach dessen Wirkung. Was anfänglich als Charakterstudie gedacht und niedergeschrieben war, wurde letztlich eine Fallstudie, in der die Analyse des Zusammenwirkens von konstitutionellen und akzidentellen Faktoren in der Ätiologie pathologischer Bildungen im Mittelpunkt steht.

Summary: Freud's first (1934) and last (1938) version of Moses and Monotheism: From character study to case study. Since the publication last year of the first version of Freud’s Moses and Monotheism written in 1934, it is possible to reconstruct the genesis of the book as it was published in 1939, und to compare the two versions. The present article aims to contribute to this. It first presents a critical discussion of the reconstructions provided by Grubrich- Simitis and Fagard/Gindele. Then the hypothesis is elaborated that in the Moses project one can detect a shift from character study to case study, i. e., a development towards a study dominated by the question of traumatic experiences for the formation of a people and their religion, and by theoretical reflections about the interaction between constitutional and accidental factors in the aetiology of pathological formations.